Eine Tonleiter oder Skala (von ital. Scala=Treppe) ist eine Abfolge von schrittweise aufsteigenden oder absteigenden Tönen. Je nach Tonart bzw. erstem Ton und Art der Tonleiter (etwa Dur, Moll, chromatisch etc.) ist dies eine charakteristische Abfolge von Ganz- und/oder Halbtönen. Eine herausragende Rolle für die europäische Musik – und in weiterer Folge natürlich auch für die moderne Popmusik – spielt die heptatonische Skala (Heptatonik=Siebentönigkeit), die aus sieben Tönen gebildet wird, ehe der Grundton (also der erste Ton in der doppelten Frequenz) wieder erreicht wird. Mit den sogenannten Durtonleitern assoziieren wir eine fröhliche, mit Molltonleitern eine traurige Stimmung:
Durtonleiter
Molltonleiter
Das regelmäßige Studium von Tonleitern hat in der Geigenpädagogik eine jahrhundertelange Tradition und stellt in allen großen Geigenschulen seit jeher ein Kernelement für die Entwicklung einer soliden Geigentechnik dar. Aus guten Gründen, denn mit Tonleitern lassen sich Aspekte wie Griffsicherheit, Intonation oder Geläufigkeit überaus effizient trainieren. Außerdem eignen sich Tonleitern gerade durch ihren klaren und einfachen Ablauf hervorragend als Grundstruktur für bogentechnische Übungen.
Es gibt eine Phalanx an Literatur (Notenhefte und Bücher) für das Studium von Tonleitern und Skalen. Heute noch immer bedeutend sind die Skalensysteme von Carl Flesch, Ivan Galamian oder Ottokar Sevcik, die sich an fortgeschrittene bis hin zu professionellen Spielern richten und so gut wie alle Aspekte der Geigentechnik integrieren. Unter Tonleitern oder Skalen werden in dieser Hinsicht nicht nur die eigentlichen Tonleitern (im Sinne der „Notentreppe“), sondern auch etwa Dreiklangszerlegungen oder Abläufe in Doppelgriffen (Terzen, Sexten, Oktaven, Dezimen etc.) verstanden.
Tonleitern sind allerdings nicht nur für fortgeschrittene Geigerinnen und Geiger sinnvoll, sondern stellen auch für Anfänger auf der Geige einen extrem effizienten Ausgangspunkt für das Erlernen der grundlegenden Spielbewegungen dar. Für die erste Annäherung sind möglichst einfache Tonleitern in der ersten Lage gefragt, mit welchen sich einerseits die wichtigsten Griffarten (siehe ➥ Töne auf der Geige greifen: die erste Griffart sowie ➥ Weitere Griffarten) trainieren sowie die Bogenführung und Bogeneinteilung festigen lassen. Technisch einfache Skalen finden sich zum Beispiel auf heute noch gültige Weise – zudem auch bisweilen mit charmanten Begleitungen für eine zweite Violine – in vielen frei über das Internet verfügbaren älteren Geigenschulen, etwa jener von Charles de Beriot (➥ hier zu finden). Auch für einfache Skalen haben sich folgende Übe-Prinzipien sich bewährt:
Hier stelle ich anhand der G-Dur-Skala über zwei Oktaven Tonleiter-Basisübungen vor, die sich insbesondere für Anfänger eignen und von welchen die linke und rechte Hand gleichermaßen profitieren. Bei diesen Skalenübungen sind die einzigen Voraussetzungen eine Beherrschung der grundlegenden Streichbewegung sowie eine erste Auseinandersetzung mit dem Thema Griffarten. Die Übungen sollten auf folgende Weise gespielt werden:
Zu Beginn wird die G-Dur-Tonleiter mit dem ganzen Bogen gestrichen:
Anhören / Mitspielen
Prinzipiell sollte jeder Schritt der Tonleiterübung so lange trainiert werden, bis die Griffe und Striche sicher und „ohne Nachdenken“, also automatisiert funktionieren. Was bedeutet das? Neben der Korrektur von manifesten Fehlhaltungen – diese sind zumeist recht individuell und können an dieser Stelle nicht erschöpfend behandelt werden – sind insbesondere folgende Aspekte relevant:
Ist dieser erste Ablauf sicher bewältigbar, können mehrere Töne pro Bogenstrich gespielt werden. Auch hier ist immer darauf zu achten, dass der Bogen von Frosch bis Spitze und mit konstanter Geschwindigkeit und Klang gestrichen wird. Hier der Ablauf mit zwei Tönen pro Bogenstrich:
In weiterer Folge wird der Bogen weiter unterteilt: drei und vier Töne auf einem Bogen:
▶ Tipp: Einer der großen Benefits beim Spielen von Tonleitern ist ihre klare, systematische Struktur, die Kapazitäten freilässt, um Haltungs-, Intonations- und Klangkorrekturen vorzunehmen. Es ist sinnvoll, sich im Spielverlauf schwerpunktmäßig auf einen oder wenige Aspekte pro Durchgang zu konzentrieren. So könnte z.B. einmal die lockere rechte Schulter, der Daumendruck in der linken Hand oder der Bogenkontakt zu Saite an der Spitze des Bogens im Fokus stehen. Je „automatischer“ und flüssiger die Skala gelingt, umso mehr Aufmerksamkeit könnte im Verlauf einer Übeperiode auf Teilaspekte gelegt werden. Insoweit sind Tonleiter auch besondere gut geeignet, um etwa falsch gelernte Bewegungsmuster oder Fehlhaltungen zu korrigieren.
Der letzte Schritt im Hinblick auf diese erste Annäherung ist eine Variante mit acht Tönen, bei welcher der Grundton (also der Ton g) wiederholt wird. Dies sollte jeweils ganz am Frosch und der Spitze passieren und dient einem ersten gezielten Training des Bogenwechsels, der – nicht nur zu Beginn – für alle Geigerinnen und Geiger eine größere Herausforderung darstellt:
In meinem Geigenunterricht konzentriere ich mich mit meinen Schülerinnen und Schülern zunächst auf drei Dur-Tonarten, welche die häufigsten Griffarten abdecken, ehe das Repertoire in Richtung Lagenwechsel, weitere Dur- sowie Molltonarten und spezielle Bogenübungen erweitert wird. Es sind dies die Tonleitern über zwei Oktaven in A-Dur (hoher dritter Finger):
Sowie die Tonleiter in B-Dur (tiefer erster sowie tiefer vierter Finger):
Auch diese beiden Tonarten sollten analog der hier vorgestellten Abläufe zur G-Dur-Skala geübt werden. Übeblätter zum Ausdrucken (PDFs) mit den hier vorgestellten Tonleiterübungen sind unter ➥ www.geigelernen-wien.at/notenblaetter zu finden.