Die Haltung der linken Hand beim Greifen ist eine der ersten Lektionen, die beim Geigenunterricht aufs Tapet kommt. Und dies aus gutem Grund, denn sie ist maßgebend für einige der wichtigsten Aspekte der Geigentechnik: Geläufigkeit, Intonation (sauberes Greifen) und Lockerheit. Auch für das Spiel in den Lagen (siehe ➥ Lagenspiel und Lagenwechsel), das Erlernen des Vibratos oder das Spielen von Doppelgriffen und Akkorden ist die Beschäftigung mit dem Thema von Bedeutung.
Mit der folgenden Anleitung soll die Hand zunächst in eine Grundstellung gebracht werden, die in weiterer Folge als Basis zur Optimierung Haltung dienen soll.
Mit dem zweite Finger wird auf der A-Saite der Ton cis'' gegriffen (siehe ➥ Töne auf der Geige greifen: die erste Griffart). Die restlichen Finger bleiben entspannt. Der Daumen befindet sich in etwa gegenüber dem Zeigefinger, ist leicht angewinkelt und berührt den Hals der Geige seitlich locker mit der Mitte des ersten Fingerglieds. Unterarm und Handgelenk bilden in etwa eine Linie:
Der Ellenbogen befindet sich in der Falllinie unter dem Hals der Geige:
Diese Grundstellung gelingt in der Regel ohne größere Anstrengung. Bei der Justierung des Ellenbogens ist darauf zu achten, dass die Schulter entspannt bleibt und nicht hochgezogen wird.
Ausgehend von der soeben erreichten Grundstellung, versuchen wir nun die Handhaltung weiter zu optimieren. Dafür greifen wir eine Tonfolge in der ersten Griffart und achten darauf, dass die Hand – insbesondere der Daumen – die Grundstellung nicht verlässt:
Dabei beobachten wir die Hand und den Arm. Muss die Hand eingedreht werden, um den vierten Finger (für die Nummerierung der Finger der linken Hand auf der Geige und der Bratsche siehe ➥ Glossar für die ersten Geigenstunden) zu greifen? Vielleicht muss der erste Finger auch ein wenig zurück gestreckt werden? Bereitet der korrekte Abstand zwischen drittem und viertem Finger größere Anstrengungen?
In weiterer Folge kann man zunächst mit der Eindrehung der Hand experimentieren (Supination). Anschließend kann versucht werden den Ellenbogen zentimeterweise in Richtung Körpermitte zu bewegen, das „verlängert“ den kleinen Finger. Die gleiche Bewegung mit dem Ellenbogen ist übrigens angebracht, wenn wir auf den tieferen Saiten, der D-Saite und der G-Saite greifen.
Ein weiteres Ziel für die Handstellung sollte es sein, allmählich günstige Hebelverhältnisse zu verschaffen. Günstig ist es – in aller Kürze –, wenn wir die Finger wie stabile Torbögen bauen:
Es ist sinnvoll, das Thema Handstellung beim Greifen als „Work in progress“ zu begreifen. Gerade erwachsene Anfänger empfinden etwa die Eindrehung der Hand, die für das Greifen auf der Geige nötig ist, nicht selten als Anstrengung. Auch die Stellung des Unterarmes oder bestimmte Griffweiten zwischen zwei Fingern werden zu Beginn oft als allzu „sportliche“ Herausforderungen empfunden. Von allzu viel falschem Ehrgeiz ist hierbei abzuraten: Im besseren Fall resultiert daraus „nur“ eine verkrampfte Haltung, im schlechteren Fall kann ein Tennisarm oder eine schmerzhafte Entzündung der Sehnen drohen. Die Entwicklung von Kraft, Dehnung und Lockerheit ist eine Sache, die Zeit, Konsequenz und Augenmaß erfordert. Sie kann – ganz ähnlich wie im Sport – mit kurzen Trainingsreizen und gezielter Entspannung trainiert werden.
▶ Tipp: Einen besonderen Fokus sollte der Daumendruck auf den Geigenhals erhalten. Die Frage, ob der Daumen verspannt oder locker ist, kann ein simpler Testgriff mit der rechten Hand beantworten: Ist der Muskel im Daumenballen weich oder angespannt? Daumen und greifender Finger operieren mit Druck und Gegendruck, daher gilt: Ein lockerer Daumen löst die Spannung der Finger beim Greifen so gut wie pauschal. Die Geige aus dem Würgegriff zu befreien ist etwas, das zu Beginn des Geige-Lernens besser minütlich als stündlich anvisiert werden soll.