Noten lesen auf der Geige

Noten lesen bzw. Noten lernen flößt vielen Anfängern auf der Geige Respekt ein. Zu Unrecht, denn zu Beginn des Geigenunterrichts ist es weder nötig, kompliziertere Tonfolgen abzulesen, noch muss das Thema „Notation“ vollständig theoretisch durchdrungen werden. Mit ein wenig Geduld und den richtigen Strategien lassen sich die entsprechenden Fähigkeiten relativ einfach parallel zu den anderen Grundfertigkeiten des Violinspiels entwickeln.

Die erste Griffart im Notensystem

Um das Notenbild der ersten Griffart (siehe auch ➥Töne auf der Geige greifen: erste Lage, erste Griffart) zu lernen, identifizieren wir zunächst die Positionen der vier leeren Saiten im Notensystem:

leere G-Saite, leere D-Saite, leere A-Saite und die leere E-Saite im Notenbild

Notenzeilen bestehen immer aus fünf Linien. Da wir beim Musizieren damit hinsichtlich des Tonumfangs nicht auskommen, werden darunter und darüber liegende Noten mit sogenannten Hilfslinien versehen. Es gibt übrigens immer wieder Versuche, mehr als fünf Notenlinien zu benutzen. Das stiftet beim schnellen Notenlesen allerdings regelmäßig mehr Verwirrung als Hilfestellung.

Die Töne werden entweder zwischen oder auf den Linien bzw. Hilfslinien notiert. Wandert der Notenkopf eine Etage höher (z. B. von der ersten Linie zwischen die erste und die zweite Linie), erklingt der nächsthöhere Ton. Es ist praktisch, dass beim Geige spielen dies auch den Fingern der greifenden Hand entspricht. Mit dem Ablauf 0-1-2-3-4 (siehe auch ➥Glossar für die ersten Geigenstunden) kann bequem eine Folge von aufsteigenden Ganz- und Halbtönen gegriffen werden. Die erste Griffart in der ersten Lage wird auf der G-Saite folgendermaßen notiert:

So notiert man die erste Griffart auf der G-Saite

Die erste Griffart auf der D-Saite:

So notiert man die erste Griffart auf der D-Saite

Die erste Griffart auf der A-Saite:

So notiert man die erste Griffart auf der A-Saite

Die erste Griffart auf der E-Saite:

So notiert man die erste Griffart auf der E-Saite

In der ersten Lage besteht die Möglichkeit, die Töne G, D, A und E entweder mit der leeren Saite oder dem vierten Finger zu spielen. Später entscheiden wir nach Aspekten des Klanges oder der Praktikabilität, welche der Möglichkeiten im jeweiligen Kontext zu bevorzugen ist

Auf der D-, A- und E-Saite steht in der ersten Griffart ein Kreuz vor dem zweiten Finger, auf der G-Saite hingegen nicht. Auf der E-Saite findet sich dieses Kreuz auch vor dem ersten Finger. In allen Fällen sollen aber die gleichen Tonabstände gegriffen werden. Dies hat mit unserem Tonsystem zu tun, dem Tonarten mit einer bestimmten Abfolge von Ganz- und Halbtönen zugrunde gelegt wurden.

Strategien, um als Anfänger auf der Geige rasch Noten zu lernen

Besser in Griffmustern als in Notennamen denken

Wie bei den Notenbeispielen oben ersichtlich, können wir Noten auf der Geige spielend umsetzen, ohne die Notennamen zu gebrauchen bzw. mitzudenken. Ich würde dies auch dringend empfehlen, da ansonsten „ums Eck“ gedacht wird. So ist es effizienter, zunächst ein Notenzeichen als „A-Saite – erster Finger“ zu entziffern als daran zu denken, dass dieser Ton etwa „h“ zu nennen wäre etc. Zu Beginn kann man es sich beim Geige lernen also sparen, die Namen der Tonhöhen zu lernen. Das ist übrigens keine Strategie speziell für Langsamdenker, sondern hat in der Instrumentalmusik jahrhundertelange Tradition – man denke etwa an die seit der Renaissance gebräuchlichen Lautentabulaturen. Freilich ist dieser aus Efizienzüberlegungen geborene Verzicht auf Notennamen kein Freibrief für fortgeschrittene Musiker, sich hinsichtlich Ihrer musiktheoretischen Schulung jahrelang die Blöße zu geben. Spätestens bei den ersten kammermusikalischen Ausflügen mit Pianisten oder Bläsern würde man dafür – berechtigterweise – erstaunte Blicke ernten.

Konsequent lesen statt auswendig lernen bzw. nachspielen

Genauso wie angehende Pianisten zu Beginn auf die Tasten starren, versuchen Anfänger auf der Geige, Abläufe zu Beginn möglichst auswendig zu lernen, um geistige Kapazitäten für die - zugegebenermaßen komplexen – Spielbewegungen aufzusparen. Dies ist verständlich, steht dem Notenlernen aber im Weg. Besser ist es, sich beim Erlernen der ersten Stücke von Anfang an konsequent auf die Noten zu konzentrieren, um möglichst rasch einen Automatismus beim Lesen und Greifen zu erreichen.

Fingersätze sparsam einsetzen

Es ist eine übliche und etablierte Hilfestellung, sich in den ersten Geigenstunden über jede Note den Finger und – an den entsprechenden Stellen – die Saitenwechsel zu notieren. Diese Fingersätze möglichst bald zu reduzieren, ist eine sinnvolle Maßnahme, um das Notenlesen zu verbessern.

Gezielte Leseübungen: Pizzicato

Eine mit meinen Schülern seit Jahren erfolgreich praktizierte Maßnahme: Immer wieder einzelne Stücke „auflegen“ und zupfen (der Bogen bräuchte hierbei viel zu viel Aufmerksamkeit, daher wird er weggelassen). Der Fokus gilt – je nach Niveau – dem korrekten Ablauf der Tonhöhen oder Tonhöhen plus Rhythmus. Alle anderen Aspekte sind hierbei nebensächlich. Diese Übung ist besonders effizient, wenn die Schwierigkeit der Stücke so gewählt wird, dass die Melodie bzw. der Notenabschnitt nach ein bis zwei Wiederholungen möglichst fehlerfrei bewältigt werden kann. Viele Wiederholungen, um Abläufe zu bewältigen oder gar einzuüben wären für diese spezielle Leseübung kontraproduktiv.